Nikolaus

Nikolaus - der »Über-Heilige«

Entstehung und Verbreitung seiner Verehrung in Ost und West


Vom Leben des hl. Nikolaus ist nahezu nichts bekannt. Fest steht lediglich, dass er gelebt hat und dass er Bischof von Myra gewesen ist. Dennoch ist Nikolaus zu einem der am meisten verehrten Heiligen geworden.

Nikolaus im Kontext der Entstehung der Heiligenverehrung



Dass Nikolaus überhaupt als Heiliger verehrt werden konnte, setzt eine Entwicklung in der Heiligenverehrung voraus, die bei den Märtyrern aus den blutigen Christenverfolgungen ihren Anfang nahm, nach Einführung der Religionsfreiheit im Römischen Reich sich auf einige ehrwürdige Asketen ausweitete und bis zum Ende des 4. Jhd. sich auch auf lokale Bischöfe erstrecken konnte.   weiter

Seit dem 2. Jhd. hatte man begonnen, die Märtyrer und ihre Gräber in besonderen Ehren zu halten. Indem die Märtyrer in den Verfolgungen ihr Leben ließen, sah man darin das Ideal der Nachfolge Christi (Mt 10,38-39; Lk 9,23-24) in höchster Weise erfüllt. Damit verband sich die Gewissheit, dass die Blutzeugen, im Tod mit Christus vereint, nun auch an seiner Herrlichkeit teilhaben (Röm 6,8).

Das Verständnis vom Martyrium korrespondierte in gewisser Weise mit der jüdischen Vorstellung, dass die Blutzeugen aus der makkabäischen Verfolgung als Freunde Gottes angesehen werden und bei Gott fürbittend eintreten (2 Makk 15,12-14). Der Gedanke des Patronats – und zwar analog zum Römischen Recht – für die noch auf Erden Lebenden und im Sinne der Fürbitte bei Gott gewann auch in der christlichen Heiligenverehrung an Bedeutung. Hinter dieser Praxis stand das Vertrauen, dass jene, die bei Gott vollendet sind, dem Schicksal der Welt und jener, die auf ihr leben, verbunden bleiben, sich deren Anliegen wohlwollend zueigen machen und in ihre Liebe zu Gott und in ihr Leben mit Gott mit hineinnehmen. Wer vor Gott steht und ihm nahe ist, kann ihm seine Anliegen sowie all jene, die ihm angetragen werden, fürbittend vorbringen und so zweitursächlich an Gottes gutem Werk gleichsam mitwirken.

Mit den reichsweiten Verfolgungen unter Diokletian und zuletzt nichmals unter Galerius in den Jahren 303 bis 311, den heftigsten in der Reihe der Christenverfolgungen im Römischen Reich, nahm die Verbreitung des christlichen Märtyrerkults zu, da zahlreiche Gemeinden nun selbst betroffen waren und erstmals Märtyrer aus ihren eigenen Reihen zu beklagen hatten. Bedeutende Märtyrergräber wurden mit einer Kirche überbaut

Die öffentliche Verehrung der Märtyrer geriet zu einem Kennzeichen für den Übergang vom Heidentum zum Christentum, zuweilen mit einem anti-heidnischen Impuls.

Mit dem Ende der Verfolgungen und der Etablierung des Märtyrerkults in der gesamten Kirche weitete sich der Kreis der verehrungswürdigen Heiligen, die man mit Christus vollendet glaubte und mit denen man sich verbunden wusste: Auf einige von jenen, die in der Verfolgung standhaft geblieben waren, ohne ihr Blut zu vergießen (Bekenner) sowie auf Asketen wie Antonius († 356), deren Leben unter den permanenten Abtötungen der Askese analog zum blutigen Martyrium als eine Art permanentes Martyrium galt. Ähnliches galt für ein konsequent jungfräulich geführtes Leben. Johannes Chrysostomos predigte das asketische Ideal christlicher Lebensführung für jedermann: »Tötet euren Leib ab und kreuzigt ihn, und so werdet auch ihr die Krone der Märtyrer empfangen.«

Im Westen zählte der hl. Martin von Tour (316/17-397) zu den ersten nicht-Märtyrern, die im Volk als Heilige verehrt wurden. Die Ausweitung der Heiligenverehrung erfolgte insbondere während des Pontifikats Damasus I., so dass künftig nun auch einzelne Bischöfe in den Kreis der verehrungswürdigen Heiligen einbezogen wurden.

Nikolaus war einer jener frühen nicht-Märtyrer, dem im Kontext der Christianisierung Lykiens und der Abgrenzung gegen heidnische Götter und Kulte als Bischof die Verehrung eines Heiligen zugewachsen ist. Wie es dazu kam, ob oder welche Ansätze es im irdischen Leben des Bischofs Nikolaus dafür gegeben haben mag, lässt sich historisch nicht fassen.

Christianisierung - der heilige Nikolaus gegen die heidnischen Gottheiten



Der Prozess der Christianisierung weiter Bevölkerungsteile in den einzelnen Provinzen des römischen Reiches war ein zeitlich ausgedehnter Prozess, der zum Teil noch zur Zeit Kaiser Justinians im 6. Jhd. nicht abgeschlossen war. In der Provinz Lykien hat der Prozess der Christianisierung wie ein Katalysator gewirkt, der die Verehrung für den heiligen Nikolaus erheblich förderte.

Wie vielerorts die Verehrung der Märtyrer den Übergang vom Heidentum zum Christentum begleitete und die christlichen Heiligen den heidnischen Gottheiten mit einem gewissen anti-heidnishen Impetus entgegengesetzt wurden, so erwies sich in Lykien die Nikolaus-Verehrung als Instrument, den lokalen heidnischen Kulten mit aller Kraft entgegenzutreten.

Die Bedeutung der Hauptlegende



Die Entstehung der Erzählung von der Errettung der drei Offiziere setzt bereits das Bestehen einer Verehrung für Nikolaus voraus. Inwiefern es für die Entstehung dieser Erzählung im Leben des Bischofs Nikolaus konkrete Ansätze gegeben haben mag, lässt sich historisch nicht sagen. De facto hat sich bald nach seinem Tod eine Verehrung für Nikolaus entwickelt, welche zur Entstehung dieser Erzählung führte.

Die Erzählung zeigt eine wesentliche Besonderheit in der Nikolaus-Verehrung: Nikolaus konnte nachts vor Kaiser Konstantin und anderen Personen erscheinen und mit einer gleichsam himmlischen Autorität Anweisungen erteilen. Es etablierte sich die Meinung, Nikolaus habe bereits auf Erden den verklärten Leib der Auferstehung gehabt, war als Erdenbürger also Himmelsbürger, als Himmelsbürger ist er nach wie vor den Notleidenden auf Erden ein wirksamer Helfer.

Die Erzählung transportierte diese Vorstellung vom heiligen Nikolaus als einem quasi »Über-Heiligen«, der die gewöhnlichen Heiligen nochmals überragt. Ohne Einschränkung durch allzu konkrete biographische Bezüge konnte sich diese Vorstellung vom heiligen Nikolaus etablieren, der im Volk somit nicht nur als Helfer in bestimmten Angelegenheiten, sondern als Helfer in jeder Art von Not angerufen wurde.

Die Entstehung dieser Erzählung setzte bereits eine Verehrung für Nikolaus voraus. Dann aber erwies sich die Erzählung als mächtiges Instrument, die Verehrung für den heiligen Nikolaus wirksam zu verbreiten.

Der Ausgang des Bilderstreits brachte den Durchbruch für die Nikolaus-Verehrung



Der ikonenfreundliche Ausgang des Bilderstreits (726-843) stärkte die Nikolaus-Verehrung in allen Volksschichten und förderte seine Verbreitung im gesamten byzantinischen Einflussbereich. In diesem Streit war es um weitaus mehr als nur um die Frage der Ikonenbilder gegangen. Im Kern ging es dabei einmal mehr um die große Frage nach dem Verhältnis von Gottsein und Menschsein in Jesus Christus (hypostatische Union). Dies erklärt die Vehemenz dieses Streits auf beiden Seiten.

Einige einflussreiche Bilderfreunde hatten sich als große Verehrer des heiligen Nikolaus hervorgetan. Darunter ist u.a. Methodius I., der in der zweiten Welle des Bildersturms unter Leon V. 821 als Bilderfreund verhaftet wurde. Als späterer Patriarch von Konstantinopel führte er das Ende des Bilderstreits mit herbei

Mit dem Ende des Bilderstreits waren nicht nur die Ikonenbilder legitimiert. Analog zu den gemalten Ikonenbildern wurden die Heiligen nun auch verstärkt auf literarische Weise dargestellt. Literatur galt nach antikem Verständnis als Kunst. Dabei ging es darum, die Wahrheit der Person des Heiligen nach allen Regeln der Kunst zum Ausdruck zu bringen. In der Folge sind viele Erzählungen über die großen Taten des heiligen Nikolaus entstanden. Einige dieser Erzählungen wurden während des 9. und 10. Jhd. in diversen „Vita“-Darstellungen zusammengefasst. Diese Texte trugen zur weiteren Verbreitung der Nikolaus-Verehrung bei.

Der ikonenfreundliche Ausgang des Bilderstreits bestätigte die anschaulichen Ausdrucksformen religiöser Heiligenverehrung und verhalf diesen zu weiterer Blüte. Der Name »Nikolaus« wurde zum Programm für den »Sieg des Volkes«: gr. »nίkē – Sieg«; »laós - Volk«. Der Ausgang des Bilderstreits zugunsten der Ikonen und der im Volk populären Heiligenverehrung bedeutete zugleich einen umfassenden Durchbruch für die Verbreitung der Nikolaus-Verehrung.